Abgrund und Hoffnung

Ich stehe an einem Abgrund.
Über mir ist nichts, unter mir, vor mir – nur das Nichts. –
Sterne kristallisieren sich heraus,
der gigantische Bogen der Milchstraße –

In tiefer Nacht liegt ein Wort –
ein Omen – ein Rätsel des Geistes –
grundlos gefangen in unfassbarer Tiefe des Kosmos –
Verführung zu Empfindung und Empfängnis –
Blütenteppich einer Wurzel, umfassend den Stern –
verborgen und geborgen in strahlendem Glanz kosmischer Auferstehung –
aus dunkler Materie geboren –
rein in allen Fasern lebendigen Wachsens durch die Zeit der Äonen – verloren – verloren – verloren –
unvergessen bei dem, der das Wort gelegt,
das Omen errichtet für alle Zeiten –
leuchtend durch der Sterne Licht –
pulsierend in Helligkeit und Finsternis,
in Weite und Enge, in Tal und Höhe,
Reichtum und Armut. –
Erhoben und erniedrigt im Sein des Lebens. –
Fanfaren verkünden eine Wiederkehr
in Schönheit und Freude, Achtung und Anerkennung,
Bedürfnis und Vollendung des Geistes im Geist –

LIEBE!

Vergebliche Flucht

Ich sehe Nichts.
Jedoch: Wen graut,
wenn er aus meinem Spiegel schaut?

Ich fühle Nichts.
Rast nicht mein Herz
in Folterqual und dunklem Schmerz?

Ich höre Nichts.
Wer schreit so laut,
sobald mein Hass sich jäh entstaut?

Bin blind und taub,
gänzlich von Sinnen,
kann meinem Schicksal nicht entrinnen.
So tot und still,
kein Quentchen Licht,
doch wisset: ich ertrag‘ es nicht!

Aus „Auch das Dunkel will ans Licht“

Die Andere

Täubchen schnell, gib deine Feder
gib sie mir ich fleh‘ dich an,
dass ich zu ihm fliegen kann
schneller als der Wind.

Lange wird er nicht mehr warten,
lange nicht, ich fühle es.
Dann gibt es ein großes Fest
mit der Anderen.

Schau, die Uhr schlägt Mitternacht,
schau doch und beeile dich.
Wird es Tag, so werde ich,
schon vergessen sein.

Wozu soll ich Federn lassen
sag wozu, er liebt dich nicht,
weil er nicht die Wahrheit spricht
heute nicht und nimmer mehr.

Feinliebchen

Im ersten Morgensonnenlicht
erwache ich in freier Flur,
inmitten strahlend blau ein Paar
hell leuchtender Vergissmeinnicht.

Sag, wohin führt mich diese Reise?
Dort lächelt mir ein roter Mohn,
und außen führt ein sanfter Strom
vorbei, die Wellen fließen leise.

So bleib‘ ein Weilchen, eine Stunde nur,
Feinliebchen – bald muss ich davon.

Es existiert nicht

Ein Werkzeug, das wir nicht missbrauchen
Ein Kind, dem wir nicht seine Unschuld stehlen
Ein Tag, an dem wir keine Feinde zählen
Ein Wort, das wir nicht in den hehren Zensus tauchen

…fühl mich alleine…

Ein Skandal, zu dem wir nicht
Stellung nehmen
(aus dem Sofa, dem bequemen)
Die Euphemen
biegen Worte und verhämen
jeden And’ren, bis er bricht.

…schweig jetzt und weine…

Roter Sand

Neulich des nächtens war ich fort
an einem unbekannten Ort,
vernahm ein seltsames Geschrei
und fragte mich, was dies wohl sei?
Ein toter Baum, die Zweige kahl,
mit leerem Blick und aschefahl
ein Jüngling auf dem roten Sand –
in seiner Hand ein gelbes Band.

Ein Wesen saß auf einem Ast,
es klagte, dabei klang es fast
wie „kalahaari“, und sein Fell
schimmerte magisch, glockenhell
sein „kalahaari“, ich erkannte,
wenn ich es nur beim Namen nannte
wär’ auch sein Herzeleid vorbei.

So sprach ich wie durch Hexerei
bloß: „haarakiri“ und das Tier
hüpfte vom Baum und folgte mir,
goss eine Träne in den Sand,
bevor es seufzte und verschwand.

Der letzte Brief

Erster Bogen

„Wohin ich blicke: Parallelen,
die mich mit ihrer Eintracht quälen,
bis sie abrupt im Gleichschritt wenden
und wiederum gemeinsam enden.

Im Traume bin ich rund und weich,
an Schönheit meiner Schwester gleich,
doch ich erwache und mit Schrecken
gewahr‘ ich rundum scharfe Ecken.

Ich hasse meine klare Form,
mein Wesen schlicht, nach einer Norm
gebaut, die mich zusammenhält:
jedoch dem Kreis gehört die Welt.

Grüßt mir die Kinder! Fritz Quadrat –
der nichts mehr zu verlieren hat…“


Zweiter Bogen

„Ich bin und bleibe ein Problem,
mir selbst im Weg und unbequem.
Zwar infinit, wenngleich am Ende
ich mich viel lieber endlich fände.

Wie schön mein Bruder, das Quadrat,
es im Vergleich zu mir doch hat:
an jedem Ende klare Ecken,
in welchem rechte Winkel stecken.

In ruhelosem Wirbel kreist
mein krummer und gebroch’ner Geist,
dieweil der glatte Tunichtgut
auf seiner eb’nen Seite ruht.

Ein letzter Gruß von Linda Kreis –
die sich nicht mehr zu helfen weiß…“